Brasilien verlässt die IHRA: Ethik zwischen Geopolitik und Holocaust-Gedenken

Brasilien verlässt die IHRA: Ethik zwischen Geopolitik und Holocaust-Gedenken

Im Juli 2025 hat die brasilianische Regierung offiziell ihren Rückzug aus der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA) bekanntgegeben, bei der das Land seit 2021 Beobachterstatus hatte. Der Schritt erfolgte vor dem Hintergrund wachsender Kritik der Regierung Lula da Silva an Israel. Zudem hatte Brasilien die Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof unterstützt, in der Israel des Völkermords im Gazastreifen beschuldigt wird, berichtet Compakt.DE.

Die Entscheidung wurde von der israelischen Botschaft in Brasilien sowie mehreren einflussreichen Gruppen, darunter israelkritische Organisationen, bestätigt. Obwohl die brasilianische Regierung offiziell „Haushaltskonsolidierung“ als Grund nannte, interpretieren Beobachter den Schritt als politisches Signal zugunsten der palästinensischen Sache.

Wie Israel und jüdische Organisationen reagierten

Das israelische Außenministerium nannte den Ausstieg Brasiliens aus der IHRA eine „moralische Katastrophe“ und Ausdruck politischen Zynismus. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum und die Koalition zur Bekämpfung des Antisemitismus (CAM) veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Entscheidung als „Beleidigung des Holocaust-Gedenkens“ und „Legitimierung von Antisemitismus auf Regierungsebene“ bezeichneten. Fernando Lottenberg, Sonderbeauftragter der OAS für Antisemitismus, betonte, dass die IHRA-Definition ein zentrales Instrument zur Erkennung und Bekämpfung antisemitischer Rhetorik sei. Der Rückzug sei besonders bedenklich für die zweitgrößte jüdische Gemeinde Lateinamerikas.

Die Rolle von Lula da Silva und der politische Kontext

Brasiliens Präsident Lula da Silva, der sich seit langem als Vertreter des Globalen Südens versteht, hat zuletzt vermehrt Positionen vertreten, die der palästinensischen Linie nahekommen. Der Austritt aus der IHRA wird als Teil einer politischen Neuausrichtung verstanden – weg von israelischen Institutionen, hin zu internationalen Allianzen, in denen die Rechte der Palästinenser betont werden. Internationale Analysten sehen in dem Schritt potenzielle diplomatische Konsequenzen, insbesondere in den Beziehungen zu den USA, Deutschland und Frankreich, die die IHRA aktiv unterstützen.

Die palästinensische Sicht: IHRA als „Zensurinstrument“

Ein völlig anderes Bild zeichnete die Palästinensisch-Arabische Föderation Brasiliens (FEPAL), die den Austritt ausdrücklich begrüßte. Laut ihrer Stellungnahme sei die IHRA zu einem Instrument internationaler Zensur geworden, das genutzt werde, um Kritik an Israel zu unterdrücken – insbesondere im Zusammenhang mit seiner Politik in den besetzten Gebieten. FEPAL wirft der IHRA-Definition vor, Antizionismus mit Rassismus gleichzusetzen und damit den Kampf für palästinensische Rechte zu delegitimieren.

Was der Rückzug Brasiliens global bedeutet

Obwohl der Beobachterstatus keine volle Mitgliedschaft in der IHRA bedeutet, hat der Austritt symbolische Bedeutung – vor allem in einer Zeit wachsender antisemitischer Vorfälle weltweit. Brasilien, das sich bislang als multikulturelles Land präsentierte, gerät zunehmend in moralische und diplomatische Kritik. Auch Brasiliens zukünftige Teilnahme an internationalen Anti-Diskriminierungsinitiativen steht infrage. Unterdessen fordern Oppositionsparteien im Land eine Rückkehr zur IHRA und die Einberufung einer Parlamentsanhörung zum Thema. Zuvor berichteten wir, warum Deutschland in Verteidigungs-Start-ups investiert und seine Sicherheitsdoktrin überdenkt.

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